Die Wissenschaft kann nicht alleine entscheiden

Das International Panel of Experts on Sustainable Food Systems (IPES-Food-Panel) analysiert den Wandel zur nachhaltigen Ernährung der Zukunft. Im Interview erklärt der Co-Leiter des Panels, Olivier De Schutter, welche Herausforderungen dabei zu bewältigen sind und wie es die politische Debatte zu unterstützen gilt.

​Warum haben Sie das International Panel of Experts on Sustainable Food Systems (IPES-Food) gegründet und wie setzt sich das Panel zusammen?

Olivier De Schutter: IPES-Food wurde gegründet, um eine unabhängige und verbindliche Stimme für den Wandel von Ernährungssystemen zu schaffen. Die Spannweite der Erfahrungen der 23 Panel-Mitglieder reicht von der Akademie und der Zivilgesellschaft über soziale Bewegungen bis hin zur Privatwirtschaft. Sie bringen ganz unterschiedliches Wissen aus verschiedenen Bereichen ein.

Warum muss der Wandel hin zu nachhaltigen Ernährungssystemen interdisziplinär angegangen werden?

Ob Unterernährung, Fettleibigkeit oder Biodiversitätsverluste – früher gingen Wissenschaftler und Entscheidungsträger die verschiedenen Herausforderungen in den Ernährungssystemen tendenziell im Einzelnen an. Es wird jedoch immer deutlicher, dass diese Probleme miteinander verflochten sind und gleiche Ursachen haben. Darum sind rein ökonomische oder rein agronomische Analysen über notwendige Veränderungen in den Ernährungssystemen wenig zielführend. Politik- und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse sind entscheidend, um die komplexen Fragenstellungen zu Armut, Versorgung, gesellschaftlicher Ausgrenzung oder ungleichen Machtverhältnissen beantworten zu können. Diese Fragen sind jedoch für das Verständnis von Ernährungssystemen entscheidend. Ebenso wenig aussagekräftig sind sozioökonomische Analysen im Kampf gegen den Hunger, wenn dabei nicht auch die Umweltfaktoren und ökologischen Grenzen von Versorgungssystemen betrachtet werden.

Wie gehen Sie dabei vor?

Das IPES-Food-Panel soll nicht nur interdisziplinär, sondern auch transdisziplinär sein. Die Ernährung ist ein sehr komplexes gesellschaftliches und ökologisches System. Um zu verstehen, müssen Forschende sehr eng mit Bauern, Beschäftigten im Lebensmittelsektor, regionalen Gemeinschaften, Konsumenten und einer Vielzahl weiterer Akteure zusammenarbeiten, welche diese Systeme prägen. Deren Wissen ist einmalig und manchmal auch widersprüchlich. Um Nachhaltigkeit zu definieren und zu erreichen, sind politische und ethische Entscheide notwendig, welche die Wissenschaftler nicht alleine treffen können

Welche Aufgaben nimmt das Panel wahr?

Es ist der Auftrag des Panels, die politische Debatte über nachhaltige Ernährungssysteme zu unterstützen. Das machen wir mit verschiedenen Berichten, in denen wir Ernährungssysteme mit verschiedenen Ausgangslagen aus unterschiedlichen Blickwinkeln untersuchen. Anfangs 2016 wird das Panel Fallstudien veröffentlichen, die den Übergang zu ökologischer Landwirtschaft analysieren. Ebenso einen Bericht über die Herausforderungen einer diversifizierten Nahrungsmittelproduktion. Diese und andere Publikationen zeigen den Weg zu nachhaltigen Ernährungssystemen auf und helfen Entscheidungsträgern und anderen Akteuren bei den notwendigen Schritten, die zum Ziel führen. Zudem will IPES-Food verschiedene Akteure zusammenbringen – einschliesslich Vertretenden von Regierungen, der Zivilgesellschaft und der Privatwirtschaft. Es soll ein Dialog angeregt werden, damit gemeinsam Strategien und Prozesse festgelegt werden können, mit denen der Wandel hin zu nachhaltigen Ernährungssystemen möglich ist.

Mit welchen Akteuren arbeiten die Experten von IPES-Food zusammen?

Wir versuchen die Ergebnisse unserer Arbeit möglichst direkt den Entscheidungsträgern zu präsentieren. Im Juni 2015 traf sich das Panel beispielsweise mit einer überparteilichen Gruppe für nachhaltige Ernährung im Europaparlament (EP). Wir planen, die Arbeit mit Mitgliedern des EP sowie mit Entscheidungsträgern auf anderen Ebenen weiterzuführen. Ausserdem ist IPES-Food bei der Verbreitung der Arbeiten auf Nichtregierungsorganisationen und andere Interessenvertreter angewiesen. Um unsere Ergebnisse in konkrete Handlungsempfehlungen umzusetzen sind Gruppierungen aus der Zivilgesellschaft verschiedener Länder und Regionen besonders wichtig. Im Weiteren nimmt das Panel Kontakte mit Unternehmen, Produzentenorganisationen und anderen Akteuren auf, um gemeinsam ihre Rolle in nachhaltigen Ernährungssystemen der Zukunft zu entwerfen.